Schöne neue Shoppingwelt? Schon jetzt dominiert der Internethandel bei den Einkaufsgewohnheiten der Bewohner Deutschlands. Doch während derzeit der virtuelle Raum nur sporadisch und für eine Sache genutzt wird, wie zum Streamen, chatten oder shoppen, soll das Metaversum das alles ändern. Konkret geht es dabei um die Schaffung von mit der Realität verbundenen virtuellen Räumen, in denen echte Interaktionen möglich sind und die dadurch zum Verweilen einladen.
Wie in dem von Steven Spielberg verfilmten Buch „Ready Player One“ ist der Grundgedanke, dass die Nutzer in Avatarform den jeweiligen Raum betreteten, sich mit Freunden treffen, neue Dinge lernen oder eben auch einkaufen. VR-Brillen oder Headsets und Sensoren erlauben es dabei, die in der virtuellen Welt erlebten Sachen zu fühlen, als ob sie echt seien.
Im Metaversum soll es im Endeffekt die gleichen Möglichkeiten wie in der realen Welt geben, inklusive Weiterbildung, Übernahme von sozialer Verantwortung, Ideenaustausch und Geschäftskooperation. Weil die virtuelle Welt in 3D von überall her betreten werden kann, werden geografische Grenzen aufgehoben.
An der Idee eines Metaversums wird seit den 80er Jahren getüftelt, obwohl der englische Begriff „Metaverse“ erst 1992 in einem Roman erstmals benutzt wurde. Doch in den vergangenen Jahre haben riesige Sprünge in der augmentierten Realität und der virtuellen Realität das Vorhaben in den Bereich des Machbaren gebracht. Im Jahr 2020 wurden ale Novität in Online-Games virtuelle Landkäufe ermöglicht, wobei der im Internet existierende Landkauf auch virtuell übertragen werden konnte, so dass reale Eigentumsrechte entstanden sind.
Freizeit, Geschäftsleben, Wissenschaft und Technik sollen weiter verknüpft werden, so wie auch das Metaversum an sich ständig erweitert werden soll, indem Räume und Online-Games miteinander verbunden werden. Dann können die Nutzer sich ungehindert von einem Raum in den nächsten bewegen und etwa an einer Stelle gemeinsam mit Freunden das geeignete Business-Outfit wählen, um anschließend im Powersuit Geschäfte zu machen.
Wie groß das Interesse am Metaversum ist, zeigt sich sogar bei den auch in der realen Welt und dem herkömmlichen Internet populären Casino. Decentraland und Decentral Games, ein auf Web-Spiele spezialisiertes Unternehmen, haben im Oktober 2021 mit ICE Poker das erste Metaversum-Casino eröffnet. Um dabei zu sein, müssen die Zocker in NFT-Wearables, also virtuelle Kleidung und Accessoires, für ihren Avatar investieren. Die gerenderten Jeans, Sonnenbrillen, Jacken und mehr können dabei kräftig an Wert zulegen. Sobald die Spieler ihre Wearables haben, bekommen sie eine Chipmenge zugeteilt, die jedesmal um Mitternacht auf Null gesetzt und dann wieder neu gestartet wird. Je mehr ICE-Wearables ein Avatar trägt, desto mehr ICE kann er verdienen. Die so kassierten Tokens können wiederum für Wearable-Upgrades verwendet werden.
Die Popularität dieser neuen, an Sci-Fi-Filme wie eben „Ready Player One“ erinnernden Gamblingart zeigt sich an den Besucherzahlen und den Umsätzen. Rund 7,5 Millionen US Dollar wurden laut Decentraland allein in den ersten drei Monaten umgesetzt. Rund 1000 Zocker können sich in Avatarform auf einmal im ICE Poker-Raum treffen. Mehr als 6000 Spieler pro Tag sind mittlerweile keine Seltenheit mehr.
Mit den neuen Möglichkeiten in der virtuellen Welt kristallisiert sich ein Knackpunkt heraus, der als einer der Hauptschwierigkeiten beim Wettbewerb um Nutzer im Internet gilt: die Aufmerksamkeitsspanne. Je mehr Optionen das weltweite Web bietet, desto kürzer wird den einzelnen Möglichkeiten eine Chance eingeräumt. Instagram-Accounts, Twitter, TokTok, Shopping, neue Games wie das Wortpuzzle Wordle, das binnen kurzem Dutzende Ableger inspiriert hatte, Nachrichten, Wetter, WhatsApp und Emails… Um nicht nach wenigen Sekunden per Klick oder Wischen in die Wüste verbannt zu werden, weil etwas anderes Neuer und Spannender ist, müssen sich die Anbieter ständig etwas einfallen lassen.
Das Metaverse soll dem mit echter Verbindung zwischen der realen und der gerenderten Welt entgegenhalten. Statt nur Zuschauer und Konsument zu sein, sollen die Nutzer gefühlt voll und ganz in das virtuelle Leben eintauchen können, ob sie nun für die Party shoppen, in der Disco abtanzen, bei wissenschaftlichen Konferenzen lernen und diskutieren oder den Weltraum erforschen.
Die Vernetzung von Internet und Realität schreitet täglich voran. Eines des besten Beispiele sind die Kryptowährungen. Das nur im Internet existierende virtuelle Geld war am Anfang ein Experiment, das nur für Nerds interessant war. Doch geopolitische Instabilitäten, der Gedanke an von Regierungen und Finanzpolitik unabhängigen Währungen und Anonymität und zudem der Hype ums Internet brachten die im Netz geschürften Münzen raus aus der Nische. Nicht einmal ein halbes Dutzend Jahre nach dem ersten öffentlichen Verkauf von Bitcoin 2011 waren die einst Bruchteile von Cent wertvollen Münzen Zigtausende von US Dollar wert. Investitionen in Bitcoin, Ethereum und Co. werden inzwischen an allen großen Börsen und in Investmentfonds angeboten.
Im Jahr 2015 lag der Umsatz für virtuelle Güter aller Art bei rund 5 Milliarden Dollar weltweit. Fünf Jahre später waren es 55 Milliarden.
Online-Gamingplattformen bieten längst mehr als nur Spiele, wobei die hochdotierten Riesenturniere wie „Dota 2“, „League of Legends“ und „Fortnite“ regelmäßig Zuschauer- und auch Spielerrekorde aufstellen. Konzerte zwischendurch – ähnlich wie die Halbzeit-Show in der Super Bowl im amerikansichen Football – ziehen Zigtausende an, auch wenn die Interaktion beim Online-Treffen von Offline-Freunden noch stark limitiert ist.
Das Metaversum könnte dem Abhilfe schaffen. Aber wie stets bei neuer Technologie gibt es auch mögliche Schattenseiten. Einer davon ist der potenziell gewaltige Ressourcenverbrauch, um das Metaversum zu betreiben. Das Internet hat bereits jetzt einen höheren CO2-Ausstoß als der weltweite Flugverkehr, und das Metaversum wird noch viel mehr an Rechnerkapazitäten brauchen als es derzeit mit dem „normalen“ Internet der Fall ist.
Hinzu kommen ethische Fragen. Weil die Avatare von den menschlichen Nutzern gelenkt werden, gibt es bereits Diskussionen über ethische Probleme. Sind zum Beispiel Experimente, die in der Realität als moralisch verwerflich gelten, im Metaversum akzeptabel? Was ist mit Belästung oder gar Mord eines Avatars? Weil einer der wichtigsten Punkte der Verschmelzung von Wirklichkeit und virtueller Realität das völlige Eintauchen in die künstliche Welt ist, erleben die Nutzer über ihre Avatare auch all das, was ihnen im Metaversum widerfährt. Selbst wenn sie nicht wirklich physisch Schaden nehmen können, bleibt das psychologische Trauma.
Finanzielle Gesichtspunkte spielen ebenfalls eine Rolle. NFTs können inzwischen ein Vermögen Wert sein. Was passiert etwa mit Wearables, wenn der menschliche Besitzer des Avatars, der sie getragen hat, stirbt?
Je weiter die Fortschritte beim Metaversum gemacht werden, desto mehr Diskussionspunkte tauchen auf. Doch während eine lange Liste von Fragen geklärt wird, können Wissenschaft und Technik gemeinsam die Zukunft gestalten. Schon jetzt nutzen rund 66,6 Millionen der Bewohner Deutschlands das Internet für alle möglichen Dinge. Jugendliche verbrachten pro Schnitt im vergangenen Jahr jeden Tag 241 Minuten online, während es bei den Erwachsenen 149 Minuten waren. Ob das Metaversum an dem Konsum etwas ändern wird, steht in den Sternen. Was es aber auf jeden Fall beeinflussen wird, ist die Art der Nutzung, allein und im Freundeskreis.